Unternehmensgewinne Steigen auf Rekordhöhe — Die Superreichen Erfinden eine Neue Spielart des Amerikanischen Kapitalismus

A German translation of The Super Rich Reinvent U.S. Capitalism.

Während die amerikanischen Unternehmensgewinne auf Rekordhöhe ansteigen, werden Lebensmittelhilfen für die Bedürftigsten in aller Stille gekürzt. Die Politiker, die weitere endlose Kürzungen der Sozialhilfe verlangen — Demokraten ebenso wie Republikaner —, beschwören die Krise in den USA — und übersehen dabei geflissentlich den sich ständig erhöhenden, steuerfreien Wohlstand in den Taschen der Superreichen.

Bei dem jüngsten Geldgeschenk für das reichste ein Prozent der amerikanischen Bevölkerung handelt es sich um eine unverhohlene Regierungssubvention: Die amerikanische Notenbank Federal Reserve (Fed) wird weiterhin zusätzliche 75 Mrd. Dollar pro Monat in die Finanzmärkte pumpen. Ein Großteil dieses Geldes füllt die bereits zum Bersten gefüllten Auslandsbankkonten

der Reichen. Seit dem Amtsantritt von Präsident Obama hat diese extrem unternehmensfreundliche Politik dafür gesorgt, dass 95 Prozent des neu geschaffenen Nationaleinkommens den ohnehin schon im Geld schwimmenden Reichen zugute kommt.

Zutreffenden Schätzungen zufolge verfügen die weltweiten Superreichen über ein Vermögen von 32 Billionen Dollar (sic!), das in Steueroasen gebunkert ist. Nun haben die in ihrer Gier unersättlichen in den USA lebenden Milliardäre ein weiteres neues Steuerschlupfloch entdeckt. Anstatt sich hinter den traditionellen so genannten »C Corporations« — mitsamt der damit verbundenen Steuerlast und entsprechenden Bestimmungen — zu verstecken, haben zwei Drittel der neu entstandenen Unternehmen die pseudolegale Form »teilhaberschaftlicher Strukturen« angenommen, die man allgemein als »Flow-Through Entities« (FTEs) bezeichnet. Dahinter steht das Konzept, die Gewinne direkt an die Anteilseigner »durchzuleiten« (»flow through«), ohne dafür Körperschaftssteuer zahlen zu müssen.

Die bekannteste Form dieser FTEs sind »innovative« Sonderformen einer »Limited Liability Company« (LLC), vergleichbar unserer GmbH. Diese Steuerstruktur wurde 1975 für einige wenig regulierte Aspekte eingeführt. Aber gegenwärtig schlagen reiche Investoren spitzfindige buchhaltungstechnische und legalistische Saltos, um diese Steuerstruktur auszunutzen. Derartige Praktiken waren illegal, bis die Aufsichtsbehörden von den großen Banken »Ã¼bernommen« wurden.

Das den Milliardären wohlgesonnene Magazin Economist berichtete vor Kurzem über diese »Flow-through«-Masche:

»Eine Mutation der Art und Weise, wie Unternehmen finanziert und geleitet werden, wird die Verteilung des Reichtums, den sie erzeugen, verändern… Das Unternehmen wird in seiner Struktur immer schwerer greifbar… Immer mehr geschäftliche Unternehmen übernehmen Strukturen, die es erlauben, sie als FTE einzustufen.«

Stellen wir uns z.B. einmal vor, neun schwerreiche Jungs treffen sich und bezeichnen sich als FTE einer bestimmten Spielart. Sie tun dies, weil sie eine persönliche Haftung vermeiden wollen, wenn die Sache schiefgeht. Ihre Teilhabergesellschaft kauft und verkauft nur Aktien und verdient ein Vermögen, zahlt aber keine Körperschaftssteuer. Wenn ihre risikoreichen Wetten platzen und die Teilhabergesellschaft von hintergangenen Investoren verklagt wird, erklärt sich das Unternehmen sofort für zahlungsunfähig, da alle Gewinne umgehend an die Teilhaber »durchgeleitet« wurden. Die Teilhaber gehen in aller Ruhe nach Hause und schwimmen wie Dagobert Duck in ihrem Geldspeicher.

Im realen Leben erzeugen solche zwielichtigen FTEs immensen Reichtum. Richard Kinder, der an der Gründung der bisher größten FTE mit Namen »Kinder Morgan« beteiligt war, erhielt laut Economist allein im vergangenen Jahr eine Dividende von 376 Mio. Dollar.

Immer mehr Superreiche schließen sich heute zu FTEs zusammen, um viel Geld zu verdienen. »Durchgeleitete Erträge« machten 2008 schon 63 Prozent aller Unternehmensgewinne aus. Heute liegt dieser Anteil vermutlich weit höher, da viele der großen Beteiligungsgesellschaften, die heute mithilfe des billigen, von der Fed bereitgestellten Geldes groß abkassieren, in ihrer übergeordneten Struktur als FTEs organisiert sind.

Dieses Verhalten birgt für die ganze Gesellschaft immense Risiken. Es erinnert an die rücksichtslose Kasinomentalität, die die Wirtschaft 2008 in ihren Grundfesten erschütterte. Da ein immer größerer Teil des Geldes in diese risikoreichen, unregulierten Strukturen fließt, wächst ihr selbstzerstörerisches Potenzial und droht die gesamte Wirtschaft mit in den Abgrund zu reißen. FTEs — zu denen, wie bereits erwähnt, die meisten privaten Beteiligungsgesellschaften gehören — können nur dann »gedeihen«, wenn die Regierung ausreichende Liquidität in Form billigen Geldes bereitstellt. Sobald die Zinsen steigen, geraten die FTEs in die Insolvenz, und alles weitere ist dann absehbar.

»Warten Sie«, werden die Milliardäre einwerfen, »wir zahlen doch als Individuen Steuern, die dazu beitragen, die Sozialhilfe zu finanzieren«. Nicht notwendigerweise; auch wenn der milliardenschwere Investor seinen steuerlichen Pflichten nachkommt und Kapitalertragssteuer zahlt, bezahlt er immer noch weniger als der durchschnittliche Arbeiter oder Angestellte. Aber mit dem Konstrukt der FTEs vermeiden es die Milliardäre, überhaupt Steuern zu zahlen. Noch einmal der Economist:

»Bei einem FTE-Teilhaber kann man eine Ausschüttung durchaus als einen Kapitalrückfluss und nicht als Gewinn betrachten. Infolgedessen wird erst beim Verkauf des zugrunde liegenden Wertpapiers eine Steuer fällig. Berücksichtigt man dann einige Spitzfindigkeiten des Eigentumsrechts, könnte dies bedeuten, dass gar keine Steuern anfallen.«

Ein solches offenkundig kriminelles Vorgehen ist zwar tatsächlich illegal, aber da die Wall Street den Kongress kontrolliert, werden die Regeln entweder umgangen oder schlicht ignoriert. Weiter heißt es im Economist:

»Die Schwierigkeiten, eine FTE zu werden, haben mehr mit mangelnder rechtlicher Geschicklichkeit und fehlendem Einfluss [durch die Korruption von Politikern] als mit prinzipiellen Problemen zu tun. Politiker wollen die positiven Auswirkungen der FTEs auf Wirtschaftsbereiche ausweiten, denen sie aus ideologischen Gründen des Unternehmenstyps oder aufgrund von Lobbyarbeit [Bestechung] oder beidem zugetan sind.«

Die übrige Gesellschaft ist betroffen, weil den öffentlichen Dienstleistungen das Geld ausgeht, da diese neuen FTEs weitaus weniger stark reguliert sind als die traditionellen »C Corporations«. Damit wird die Ungleichverteilung des Reichtums auf neue Höhen gehoben, während gleichzeitig eine neuerliche tiefe Rezession droht.

Historisch betrachtet begannen die Regierungen mit der Regulierung von Unternehmen, als allgemein erkannt wurde, dass diese Institutionen die Geschicke der übrigen Gesellschaft in erheblichem Maße beeinflussten: Die Ungleichheit im Lande nahm zu, die Erwerbsbevölkerung wurde in stärkerem Maße ausgebeutet, und es kam zu Umweltschäden.

Als sich die Superreichen selbst in Unternehmen organisierten, übertrugen sie den größten Teil des gesellschaftlichen Reichtums in diese neuen Strukturen. Die Regierungen erkannten: Ein halbwegs funktionierendes Land muss diese Einrichtungen besteuern und ihnen Regeln auferlegen, da das »natürliche Verhalten« des Kapitalisten — die Gier — die übrige Gesellschaft an den Rand drängen könnte.

Die neue FTE-Masche repräsentiert ebenfalls den gegenwärtigen Zustand des amerikanischen Kapitalismus. Anstatt Gewinne in ein Unternehmen zu investieren, um Maschinen zu kaufen oder weitere Arbeitskräfte einzustellen, fließt der gesamte Gewinn entweder auf ausländische Bankkonten oder über »durchgeleitete Einkünfte« sofort in die Taschen der immer reicher werdenden Milliardäre, die belegen, dass es für den anzuhäufenden Reichtum keine Obergrenze gibt. Gäbe es Grenzen dieser Kapitalvermehrung (etwa durch Besteuerung oder Regulierungen), würden sie sie mithilfe willfähriger Politiker oder Parteien entweder abschaffen oder ignorieren.

Teilweise werden diese Entwicklungen möglich, weil die Reichen sich grundsätzlich weigern, in die Realwirtschaft zu investieren, da sie befürchten, die instabilen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen könnten langfristige Investitionen gefährden. Zudem rechnen sie bei langfristigen Investitionen nicht mit ebensolchen hohen Renditen. Da ist es schon sicherer, mit risikoreichen Aktien zu spekulieren, Gewinne mitzunehmen und zu den Ersten zu gehören, die sich abseilen, wenn die Sache, wie etwa 2008, schiefgeht.

Andererseits sind auch die großen »C Corporations« bis über beide Ohren in Betrug verstrickt.Apple machte Schlagzeilen, als sich herausstellte, dass das Unternehmen auf seinen Gewinn von 74 Mrd. Dollar nur zwei Prozent Steuern zahlte, da die Gewinne in Irland, einer Steueroase für Unternehmen, abgerechnet wurden. Andere große Konzerne wie Wells Fargo, Boeing, Verizon und General Electric nutzen bestimmte Buchhaltungstricks, um fast keine Steuern zahlen zu müssen. General Electricerschlich sich sogar noch eine Rückzahlung.

Was nun die Steueroasen im Ausland angeht, gehen dem amerikanischen Staatshaushalt dadurch jährlich etwa 280 Mrd. Dollar an Steuereinnahmen verloren. Die Politiker versuchen das Problem seit Jahren in den Griff zu bekommen, da selbst ihnen klar ist, dass eine gewisse Summe an Steuergeldern hereinkommen muss, und sei es nur, um das Militär sowie weitere Subventionen an die Unternehmen zu finanzieren oder aber um der Öffentlichkeit dadurch den Wind aus den Segeln zu nehmen, dass man scheinbar mit den schlimmsten Exzessen der Milliardäre aufräumt.

Eine immer wieder vorgebrachte Idee aus dem politischen Lager besagt, man solle einen »Steuerfeiertag« für die Unternehmen ausrufen, an dem die Billionen der im Ausland geparkten Gewinne unter großem Trara in die USA zurückgebracht werden, während die Steuerfahndung gerade einmal wegguckt. Man hofft, dass die Reichen, wenn das Geld erst einmal wieder in den USA ist, es dann dort so ausgeben, dass die Wirtschaft davon profitiert — die »Trickle-down«-Theorie in höchster Vollendung.

Es wird wahrscheinlich dazu kommen, dass eine Senkung der Körperschaftssteuer zum zentralen Bestandteil im Rahmen einer eventuellen umfassenden Einigung werden wird, denn in den beiden großen Parteien herrscht allgemeine überparteiliche Ãœbereinstimmung darin, dass Unternehmen niedrigere Steuern zahlen sollten. Einige argumentieren, wenn die Körperschaftssteuer nur niedrig genug sei — und massiv dereguliert werde —, würden die Unternehmen sich bei dem Land dadurch bedanken, dass sie ihre Gewinne nicht ins Ausland abführen und keine FTEs mehr als Steuerschlupflöcher benutzen.

Dies setzt natürlich voraus, dass die Reichen die amerikanische Wirtschaft im Griff haben. Es ist schon erhellend, dass sich die Politiker mit den unternehmerischen Steuerflüchtlingen »einigen« wollen, indem sie die Körperschaftssteuer senken, anstatt ihnen die Steuerfahndung auf den Hals zu hetzen und sie ins Gefängnis zu werfen, wie sie Angestellten, Arbeitern oder der Mittelschicht gegenüber keine Skrupel haben.

Die oben geschilderte Dynamik erzeugt eine sich immer verstärkende Ungleichheit bei der Vermögensverteilung, die den fragilen inneren Zusammenhalt der Gesellschaft zerstört. Der Bankrott und der soziale Zerfall Detroits sind Vorboten für das, was dem Rest der USA droht, wenn diese Entwicklung nicht aufgehalten wird.

Beim nächsten Crash wird das Land hoffentlich seine Lektion gelernt haben: Die Großbanken und die milliardenschweren Investoren, die die Wirtschaft schon 2008 ruiniert haben, haben erneut, begünstigt durch die unternehmerfreundliche Politik Obamas und die schier unbegrenzte Geldschöpfung der Fed, zugeschlagen.

Es wird immer offensichtlicher, dass in einem ersten Schritt die Macht der Superreichen gebrochen werden muss, um einen ausgeglichenen Haushalt und Vollbeschäftigung zu erreichen, die sozialen Sicherungssysteme zu schützen und auf eine einigermaßen vernünftige Gesellschaft hinzuarbeiten. Bis es so weit ist, werden sich die USA durch eine Krise nach der anderen quälen, und allen und jedem, außer den tatsächlichen Verursachern, die Schuld für die Misere geben.